„Spitalbetriebe sind oft Burnout-Treiber“

25. Juli 2023 | Allgemein | 0 Kommentare

Sebastian Haas ist Leiter Schwerpunkt Burnout und Belastungskrisen und Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ordnet für uns die Umfragewerte zum Thema „Wie Burnout-gefährdet sind Fachpersonen aus der Medizin?“ ein.

Von Carole Bolliger

Sebastian Haas, rund 17 Prozent der Befragten gaben an, dass sie bereits ein Burnout hatten oder aktuell unter einem leiden. 50 Prozent schätzen die Wahrscheinlichkeit, eines Tages ein Burnout zu erleiden, als „mittelgross“. Wie überrascht sind Sie über diese Zahlen?

Eigentlich gar nicht überrascht. Diese Zahlen decken sich mit anderen Umfragewerten allgemein aus der Arbeitswelt. Der Job-Stress-Index 2022 der Gesundheitsförderung Schweiz (3000 Online-Befragte zwischen 18-65 Jahren) hat gezeigt, dass erstmals seit 2014 über 30 Prozent der Erwerbstätigen emotional erschöpft sind. Über 50 Prozent von diesen «Erschöpften» weisen signifikant mehr Belastungen als Ressourcen auf. 2017 fand das SECO im Rahmen der Schweizer Gesundheitsbefragung bei über 11’000 Befragten  einen Anteil von 21.6 Prozent an Erwerbstätigen, die sich bei der Arbeit meistens oder immer gestresst fühlen. Fünf Jahre zuvor waren es noch 18 Prozent. Die Zahl hat sich also innert kurzer Zeit merklich erhöht. Insbesondere die Altersgruppe der 15 bis 24-jährigen Frauen ist mit einem Wert von 28 Prozent erheblich erhöht und nach dem Gastgewerbe weist das Gesundheits- und Sozialwesen die höchsten Stress-Werte (23-24 Prozent) auf.  
Der Druck in der Arbeitswelt nimmt seit etwa 20 Jahren stetig zu, was durch verschiedene andere Studien bestätigt wurde. Der „Barometer Gute Arbeit“ von Travail Suisse befragt jährlich repräsentativ jeweils 1500 Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Qualität der Arbeitsbedingungen. Fazit der letzten Umfrage 2022: über 40 Prozent fühlen sich am Arbeitsplatz oft gestresst und psychisch (46 Prozent) belastet. Und doch ist die Arbeitszufriedenheit in der Schweiz gemäss Travail Suisse hoch bis sehr hoch.

Unsere Umfrage bestätigt dies. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der knapp 60 Befragten bezeichnete ihre Zufriedenheit als „gross“. Irgendwie erstaunlich, haben bei der Frage „Wie viel Mühe macht Ihnen Ihre Arbeit“ doch fast 43 Prozent mit „mittelmässig“ geantwortet.

«Mühe bei der Arbeit» heisst nicht automatisch, dass die Zufriedenheit dadurch negativ beeinflusst ist. Auch eine schöne Wanderung kann Mühe machen und trotzdem lohnt es sich. So lange die positiven Aspekte die negativen überwiegen und die Arbeit mit den eigenen Werten kompatibel ist, kann die Arbeit zwar Mühe machen, d.h. anstrengend aber dennoch zufriedenstellend sein.

Was sind die grössten Burnout-Risiken für Fachpersonen aus der Medizin?            

Wenn der Ausgleich fehlt, wenn positive Aspekte wegbrechen, wenn die Leistungsvorgaben unerfüllbar werden, die Auflagen immer grösser, ebenso der administrative Aufwand, kann es die eigene Motivation zerstören. Es kommt zu einer inneren Kündigung, oft zu Zynismus. Das alles sind ganz klar Burnout-Treiber.  Da kann die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten noch so befriedigend sein. Grundsätzlich sind Mitarbeitende aus dem Medizinbereich erhöht gefährdet.

Wieso? Genau die Fachpersonen sollten doch eigentlich wissen, dass sie auf sich achten müssen.

Anderen helfen, etwas Gutes für die Gesundheit der Bevölkerung zu tun, kann sehr befriedigend sein. Es birgt aber auch das Risiko, dass man schneller über die eigenen Grenzen hinausgeht. Ärztinnen und Ärzte, allgemein Fachpersonen in der Medizinbranche, sind oft nicht so gut im «Nein»-Sagen, im Delegieren oder Loslassen. Sie weisen oft ein eher labiles Selbstwertgefühl auf und benötigen gehäuft eine Bestätigung von aussen: Das sind alles Persönlichkeitsmerkmale, die mit einem erhöhten Burnoutrisiko einhergehen.

Welche Fachpersonen aus der Medizin sind denn am meisten betroffen?

Mir fällt auf, dass Kaderärzte- und Pflegende aus Kliniken besonders gefährdet sind. Ich bin seit zehn Jahren in der Klinik Hohenegg tätig und wir haben immer mehr Kaderpersonen aus Kliniken als Patientinnen und Patienten. Spitalbetriebe sind oft Burnout-Treiber: Gründe dafür sind die konstant hohen Anforderungen, viel Fremdbestimmung bei teilweise mangelnder sozialer Unterstützung (seitens Vorgesetzten und Arbeitgeber) und v.a. bei der Pflege tiefe Löhne.

Wie können Burnouts verhindert werden?

Da gibt es zwei Herangehensweisen: Bei der Verhaltensprävention geht es um das Individuum. Der Betroffene sollte sich selbst reflektieren: Was sind meine äusseren Anforderungen, was sind meine inneren Antreiber. Was hält dagegen? Woher ziehe ich meine Ressourcen? Die meisten wissen zum Beispiel ganz genau, was ihnen hilft, sich zu entspannen, setzen es aber nicht um: Der Patient oder die Frist war wichtiger oder man hat eine Beförderung im Auge. Die Motivation ist übersteigert, körperliche und seelische Bedürfnisse werden vernachlässigt. Bewegung, Ernährung und Entspannung – das sind wichtige Gesundheitsfaktoren. Aber ganz entscheidend ist: Schafft man es auch, diese in den normalen Alltag zu integrieren? Kann man zum Beispiel seinen Arbeitsweg sportlich begehen? Oder gesunde Bewegung und Ernährung im Arbeitsalltag integrieren.

Gibt es denn ein Zaubermittel?

Das gibt es tatsächlich. Die Generation Z macht es uns vor, als sogenannte „Bambus-Generation“. Bambus ist hoch widerstandsfähig d.h. resilient und wächst schnell und in Gruppen. Wir Menschen sind ebenfalls soziale Wesen und sollten vermehrt wieder in unsere „Bambusfähigkeiten“ investieren. Irgendetwas machen, das sich in einer Gemeinschaft abspielt. Ein Sportverein, in einem Chor singen oder einem anderen, nicht-leistungsbezogenen Hobby nachgehen. Ich empfehle, einen Abend pro Woche, an dem man einfach gar nichts macht oder einplant, so dass ein Puffer besteht. Und maximal zwei Termine pro Woche für Aktivitäten, die mit dem Beruf zu tun haben, ausserhalb der Arbeitszeit.

Sie sprachen von zwei Herangehensweisen. Was ist die Zweite?

Die Verhältnisprävention betrifft den betrieblichen Teil der Umgebungsfaktoren. Auch die Arbeitgeber müssen sich Gedanken machen: was bieten wir den Mitarbeitenden für gesundheitsförderliche Angebote? Bei uns haben wir zum Beispiel Mitarbeiteryoga, regelmässige Personalausflüge und Anlässe. Auch haben wir immer einen Arzt mehr angestellt, als wir eigentlich brauchen. Das ermöglicht allen, die wollen, einige Wochen pro Jahr unbezahlten Urlaub zu machen. Als Arbeitgeber lohnt es sich, in solche Sachen zu investieren. Auch Arbeitszeitbeschränkungen oder ein Verbot der Firma, nach 19 Uhr oder in den Ferien oder an Wochenenden noch Mails zu bearbeiten, können positiven Einfluss haben. Und, ganz wichtig: Die Unterstützung durch Vorgesetzte und Kolleginnen und Kollegen erhöht nicht nur die Motivation und das Engagement, sondern reduziert indirekt auch den Stress bei hoher Belastung und somit auch das Burnoutrisiko.

Sie haben Arbeitszeitbeschränkungen angesprochen. Der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und Ärzte (VSAO) fordert eine 42-Stundenwoche für Assistenz- und Oberärzte. Ist das die Lösung?

Ich kann es nachvollziehen und begrüsse es grundsätzlich, dass man den Arztberuf gleichstellen möchte mit anderen Berufen. Aber ich denke, wenn junge Menschen sich diesem Beruf verschreiben, verlangt es auch eine gewisse Flexibilität von ihnen, damit Spitäler mit ihren 24/7-Diensten überhaupt richtig funktionieren können. Ich plädiere deshalb für «42+». Heisst, 42 Stunden sind die Basisarbeitszeit, aber Weiterbildung sollte zusätzlich möglich sein. In anderen Berufen machen engagierte Berufstätige oft ebenfalls Weiterbildungen, nicht während der Arbeitszeit.

Sebastian Haas ist Leiter Schwerpunkt Burnout und Belastungskrisen,
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie und Stv. Ärztlicher Direktor an der Privatklinik Hohenegg.

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