In den letzten Jahren wurden in der Schweiz zu wenig Medizinerinnen und Mediziner ausgebildet, um die Bevölkerung ausreichend zu versorgen. Dies betrifft auch die Fachbereiche Onkologie und Hämatologie. Weshalb das so ist, wollen wir in unserer Serie „zu wenig Nachwuchsärzte“ herausfinden.
Von Carole Bolliger
Lesen Sie hier das Interview mit Dr. Kathrin Vollmer, Leitende Ärztin Onkologie und Hämatologie im Spital Thun und Vorstandsmitglied Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO)
Kathrin Vollmer, jährlich legen zwischen 20 und 30 Jungärztinnen und Ärzte die Fachprüfung für Onkologie und Hämatologie ab. Rund 90 Prozent davon bestehen die Prüfung. Eine gute Quote. Trotzdem fehlt es an Nachwuchs in der Onkologie und Hämatologie. Wieso?
Da gibt es verschiedene Faktoren. Die Krebsprävalenz nimmt zu. Menschen, die wir behandeln, leben länger mit ihrer Krankheit, damit nimmt der Bedarf an Onkologen zu. Ich bin nun seit zehn Jahren in der Onkologie tätig und kenne keine Abteilung in Schweizer Spitälern, die in dieser Zeit nicht ausgebaut hat. Wir sind offensichtlich zu wenige Onkologinnen und Hämatologen, offizielle Zahlen dazu gibt es aber meines Wissens nicht. Grotesk sind hier natürlich auch die politisch angedrohten Zulassungsbeschränkungen, mit denen wir rechnen müssen.
Sie sprechen von mehreren Faktoren. Was noch?
Der Frauenanteil in der Onkologie und Hämatologie hat sich stark verändert. Sind bei der heutigen Ü60-Generation mehr als 70 Prozent Männer, sieht es bei den Jungen anders aus: da sind es noch 1/3 Männer und 2/3 Frauen. Weshalb der Frauenanteil so gestiegen ist, ist nicht klar auszumachen. Grundsätzlich ist es aber so, dass bei Frauen ein höherer Grad an Teilzeitbeschäftigung vorliegt.
Ist der Beruf des Onkologen und Hämatologen weniger interessant geworden?
Das denke ich nicht und das zeigt auch eine Umfrage unter jungen Onkologinnen und Hämatologen. Wir haben ein Nachwuchsproblem über die gesamte Ärzteschaft, also insgesamt zu wenig Ärzte. Das setzt sich natürlich in der Fachspezialisierung fort. Etwa 50 Prozent unserer Onkologen und Hämatologen, die ihre Fachausbildung in der Schweiz machen, haben ihr Medizinstudium im Ausland gemacht. Dazu kommen Kollegen, die nach dem Facharzt in die Schweiz kommen. Wir sind im Moment sehr angewiesen auf diese Ärztinnen und Ärzte.
Sie sagen zwar, dass der Beruf weiterhin interessant für Nachwuchsärzte ist. Was müsste sich trotzdem ändern, um ihn noch attraktiver zu machen?
Die Arbeitsbedingungen müssen angepasst und verbessert werden. Es ist unverständlich, warum Ärzte weiterhin 50 Stunden in der Woche arbeiten sollen. Wie erwähnt, sind heute 2/3 in der Onkologie und Hämatologie Frauen, oft Mütter, für die 10-Stundentage organisatorisch schwierig sind und die diese auch nicht wollen. Unser Beruf eignet sich abgesehen davon gut für Teilzeitarbeit.
Die Bürokratie nimmt immer mehr zu, Onkologinnen und Hämatologen stossen an die Belastungsgrenze. Was wäre hier eine Lösung?
Politisch muss da ganz klar etwas gehen. Wir müssen unglaublich viel erfassen, die Bürokratie nimmt immer mehr zu, insbesondere, was Kostengutspracheverfahren angeht. Dies fordert immer mehr Zeit vom Arbeitsalltag. Und diese Zeit fehlt uns dann für die Patienten.
Welche Rolle spielt das Lohnniveau? Dieses steigt ja.
Wichtig ist auch die Work-Life-Balance. Ich würde sogar behaupten, den meisten ist sie wichtiger als der Lohn. Was wird von den Arbeitgebern diesbezüglich angeboten? Wie flexibel sind die Arbeitszeiten, können administrative Aufgaben vom Home Office aus erledigt werden? Die Onkologie wird immer breiter, Subspezialisierungen werden immer mehr Thema. Es gibt kaum ein medizinisches Gebiet, wo so viel Entwicklung läuft, das hält unseren Beruf trotz allen Herausforderungen spannend.
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